Vom Skandal zur Aufarbeitung – Unrechtserfahrungen von Kindern und Jugendlichen in der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte im Fokus von Erinnerungspolitik

Veranstalter
Nils Löffelbein / Thorsten Halling / Anne Oommen-Halbach, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Veranstaltungsort
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
PLZ
40225
Ort
Düsseldorf
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
12.06.2024 - 14.06.2024
Deadline
15.01.2024
Von
Thorsten Halling, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Skandalisierende Medienberichte stehen nicht selten am Beginn von wissenschaftlichen Studien zur so genannten „Aufarbeitung“ von Unrechtserfahrungen von Kindern und Jugendlichen. Ziel des Workshops ist eine systematisch-kritische Bestandsaufnahme und Analyse dieser spezifischen „Aufarbeitungstrends“ in der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte.

Vom Skandal zur Aufarbeitung – Unrechtserfahrungen von Kindern und Jugendlichen in der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte im Fokus von Erinnerungspolitik

Seit 2003 erschienen zahlreiche Medienberichte, die die Öffentlichkeit auf die zum Teil erschreckenden Gewaltverhältnisse aufmerksam machten, unter denen Kinder und Jugendliche in Kinderheimen in beiden deutschen Staaten in den Nachkriegsjahrzehnten zu leiden hatten. Zahlreiche Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichteten von emotionaler und körperlicher Vernachlässigung, Ausbeutung, Schlägen und anderen demütigenden Strafen in staatlichen und konfessionellen Einrichtungen. Im Jahr 2010 erschien der Abschlussbericht des „Runden Tischs Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren“. Nur wenig später begann die Aufarbeitung der DDR-Heimerziehung. Seither erlebt die öffentliche Thematisierung von Grundrechtsverletzungen und institutioneller Gewalt gegenüber Minderjährigen in der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte eine ungebrochene Konjunktur. So rückten nach den Heimkindern neue Erkenntnisse zu Medikamententestungen an Minderjährigen in Psychiatrien und Behinderteneinrichtungen, zum Contergan-Skandal und Berichte von möglichen Zwangsadoptionen in der ehemaligen DDR sowie über traumatisierende Gewalterlebnisse von „Verschickungskindern“ in den Fokus der medialen Aufmerksamkeit. Auch der sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen der katholischen Kirche wurde in der breiten Öffentlichkeit nun verstärkt wahrgenommen.

Anders als in früheren Versuchen, Unrecht an Kindern in Heimen bekannt zu machen, wie etwa im Fernsehspiel Bambule von Ulrike Meinhof 1970, wird heute das Thema breiter rezipiert, politisch begleitet und es wird unter Einbeziehung von Betroffenen und Betroffenenverbänden mittlerweile ein stärkerer Fokus auf eine „partizipative Forschung“ gelegt. Wichtige Aspekte dieses Aushandlungsprozesses sind die disziplinär verschieden aufgeladenen, weitgehend unhinterfragten zentralen Begriffe wie „Aufarbeitung“, „Wiedergutmachung“ oder „Entschädigung“.

In dieser Debatte – so die These – ist eine zunehmende Wechselwirkung zwischen Medienlandschaft, gesellschaftlichen Interessenvertreter:innen, politischen Förderinstitutionen und universitärer Wissenschaft zu beobachten, durch deren sich gegenseitig verstärkende Agenda eine spezialisierte Forschungsdynamik entstanden ist. Gerade die jüngst erfolgte öffentliche Fokussierung auf die „Verschickungskinder“ verdeutlicht eine hierbei zu beobachtende Schwerpunktverschiebung der Thematik: Weitet sich hier der Blick von den geschlossenen Institutionen zu einer breiteren gesellschaftlichen Kontextualisierung von Gewalt- und Unrechtshandlungen an Kindern? Handelt es sich hier um eine spezifische Entwicklung, die erst möglich wurde, durch einen besonderen Blick auf Kinder und Kindheit?

Eine systematisch-kritische Bestandsaufnahme und Analyse der vielfältigen „Aufarbeitungstrends“ , insbesondere der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte mit Blick auf Kinder und im Vergleich zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Diktatur und des kommunistischen Unrechts in der DDR ist bislang kaum unternommen worden. Der Workshop nimmt das komplexe Geflecht aus Akteuren, Institutionen und Thematiken einer multiplen Erinnerungskultur zur deutsch-deutschen Nachkriegszeit in den Blick und untersucht den geschichtspolitischen Aushandlungsprozess zwischen Politik, Wissenschaft und Öffentlichkeit in der Gegenwart.

Mögliche Themenfelder sind:

- Akteure, Motivlagen und Interessenskonflikte zwischen öffentlichen „Aufarbeitungsanliegen“ und Geschichtsdebatten
- „Aufarbeitungsdynamiken“, Forschungsförderung und politische sowie gesellschaftliche Konsequenzen
- Einflüsse politischer Auftragsforschung auf historische Arbeit
- Rolle und Funktion der Medien im erinnerungskulturellen Verständigungsprozess
- Abgrenzungen und Überschneidungen historischer von rechtlichen und ethisch-moralischen Bewertungen
- Chancen und Herausforderungen partizipativer Forschung im Kontext von (kindlichen) Unrechtserfahrungen
- Persönlichkeitsrechte und Datenschutz im Kontext von Forschungen zum Thema Unrechtserfahrungen von Kindern und Jugendlichen in der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte
- Vergleich von Aufarbeitungsprozessen in verschiedenen Feldern
- Was ist gelungene „Aufarbeitung“?

Die Veröffentlichung von Tagungsbeiträgen ist geplant.
Eine Reisekostenübernahme ist leider nicht möglich.

Wir freuen uns über Ihre Abstracts. Bitte bis zum 15.01.2024 senden an:

Kontakt

Nils Löffelbein, loeffelbein@phil-fak.uni-duesseldorf.de
Thorsten Halling, thorsten.halling@hhu.de
Anne Oommen-Halbach,anne.oommen-halbach@hhu.de

Redaktion
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